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MEINUNG - Espionnage russe depuis la Suisse 1914 – 1917 - Eine Rezension des Buches von Fritz Stoeckli

Während des Ersten Weltkriegs war die Schweiz eine Plattform für alle Kriegsparteien, die ihre Neutralität und geografische Lage ausnutzten und hier Stützpunkte für ihre Spionage und Gegenspionage einrichteten. Die Aktivitäten der französischen, deutschen und österreichischen Dienste sind gut bekannt, im Gegensatz zu denen Russlands. Dieses Land hatte sich auch dafür entschieden, von der Schweiz aus zu spionieren, doch aufgrund fehlender Informationen verzögerte sich die Forschung zu diesem Thema. In den letzten Jahren wurden jedoch unveröffentlichte Dokumente aus russischen Archiven gesammelt, die den Schleier über diesen Aktivitäten lüften.

Der Autor, Fritz Stoeckli, beschreibt zunächst den allgemeinen Kontext der russischen Spionage in Europa, die sehr abgeschottet und kostspielig war, und geht dann näher auf die russische Spionage von der Schweiz aus ein. In den Jahren 1916-1917 gab es dort 15 Organisationen und Unterorganisationen, in den Niederlanden und Dänemark waren es jeweils fünf. Sie unterstanden Oberst Pawel Ignatiev, der im Dezember 1915 in Paris angekommen war, wo er von den Franzosen stark unterstützt wurde. Gleichzeitig leitete der russische Militärattaché in Bern, General Golovan, selbstständig Agenten, die in Österreich-Ungarn und an seinen Hauptfronten (Russland, Italien und Balkan) aktiv waren.
Im Jahr 2020 veröffentlichte Fritz Stoeckli sein erstes Buch über den berühmten Skandal der Oberst-Affäre, der Ende 1916 die Schlagzeilen beherrschte und die Schweiz in eine unangenehme Lage gegenüber Frankreich brachte. Ein bahnbrechendes Werk, da der Autor die Geschichtsschreibung der Affäre erschütterte, indem er sich auf die bis dahin ungenutzten Dokumente des russischen Geheimdienstes stützte, die durch die sowjetischen Jahrzehnte belastet waren. Doch die Arbeit des Historikers konnte damit nicht enden, denn im Zuge seiner Recherchen und der kritischen Durchsicht dieser weitgehend unveröffentlichten Quellen wurde sich Fritz Stoeckli der Tragweite der russischen Spionage von der Schweiz aus und ihres Hauptakteurs, General Golovan, der zwischen 1914 und 1917 russischer Militärattaché in Bern war, bewusst. Der Autor holte 78 Depeschen aus der Versenkung, die der Offizier des Zaren während seiner Zeit bei der Eidgenossenschaft nach Petrograd geschickt hatte und die den Kriegsverlauf betrafen. Daher erschien es sinnvoll, sich auf die Funktionsweise des russischen Nachrichtendienstes in der Schweiz während des Ersten Weltkriegs zu konzentrieren. Dieses Thema ist umso spannender und weitgehend unbekannt, als die Aktivitäten und die Organisation des zaristischen Geheimdienstes relativ wenig bekannt sind. Die Okhrana, die nach der Ermordung von Zar Alexander II. im Jahr 1881 gegründete politische Geheimpolizei des Russischen Reiches, deren vielfältige Aktivitäten nicht nur die Beschaffung von Informationen, sondern auch Desinformationsoperationen umfassten, war Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen. Maurice Laporte bot bereits 1935 in seinem Buch "Histoire de I 'Okhrana: la police secrète des tsars, 1880-1917" einen ersten Überblick, dem 1967 das Buch von Edward Ellis Smith "The Okhrana - the Russian Department of Police: A Bibliography" folgte, gefolgt von einer Vielzahl weiterer Autoren. Aber auch die militärische und taktische Aufklärung in Kriegszeiten musste noch erforscht werden. Dies ist nun dank Fritz Stoeckli geschehen. Er geht über die offizielle Korrespondenz von General Golovan hinaus und behandelt die Realitäten des von Agenten begangenen Terrains, die Schwächen der Agenten und die Schwierigkeiten, auf die sie stießen, sowie die Hauptmerkmale der Organisation des russischen Nachrichtendienstes in Europa und der Schweiz zwischen 1914 und 1917. Die akribische Arbeit des Autors wird nicht nur für Liebhaber der Militärgeschichte interessant sein, sondern auch für Historiker, die sich auf die "Intelligence Studies" spezialisiert haben.

Dr. Christophe Vuilleumier, Vorstandsmitglied der SVMM

Referenz des rezensierten Buches (nur auf französisch erschienen):
Fritz Stoeckli
Espionnage russe depuis la Suisse 1914 - 1917
Verlag Slatkine, Genf, 2023
190 Seiten
15,5 cm x 23,5 cm, broschiert
ISBN 978-2-05-102936-0