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BERICHT - Festakt zum 100. Todestag von General Wille

Am Abend des 30. Januar 2025 organisierte die Gemeinde Meilen ZH einen Festakt zum Gedenken an den genau 100. Todestag ihres Ehrenbürgers Ulrich Wille, General während des Ersten Weltkrieges. Die Veranstaltung war mit über 400 Personen im „Jürg-Wille-Saal“ des Restaurants „Löwen“ und in Anwesenheit mehrerer Nachkommen der Familie Wille bis auf den letzten Platz gefüllt. Weitere Hundert Personen mussten aus Platzgründen abgelehnt werden. Die SVMM wurde persönlich eingeladen und vier ihrer Mitglieder leisteten einen aktiven Beitrag im Rahmen eines Podiumsgespräches.

Der Gemeindepräsident von Meilen, Dr. Christoph Hiller, ging kurz auf das Leben des Generals und insbesondere auf seine Verankerung in Meilen ein: Ulrich Wille lebte von frühester Kindheit bis zu seinem Tod in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1925 auf dem Landgut Mariafeld. Der General blieb diesem Ort und seiner Gemeinde sehr verbunden und wurde sogar Mitglied der Feuerwehr...Er wurde in Meilen bescheiden beigesetzt; seine Familie hat sich stets gegen die Errichtung eines Denkmals ausgesprochen. Nach seinem Tod wurde jedoch die Alte Landstrasse, an der Mariafeld liegt, in General-Ulrich-Wille-Strasse unbenannt.

Anschliessend würdigte der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, den Offizier, der seinem Vaterland viel gedient, aber auch viel für seine Ansichten „gestritten“ habe. Dies brachte Wille Gegner und Vorwürfe ein. Er hatte schon in den 1880er Jahren Alarm schlagen wollen, weil die Schweiz angesichts des Aufstiegs der Nationalismen in der Umgebung militärisch nicht ausreichend vorbereitet war. Er hatte dies sowohl im Rahmen seiner Verantwortung als Instruktor, Waffenchef und Kommandant als auch in seinen zahlreichen energischen journalistischen Plädoyers getan. Er wurde nur teilweise gehört und musste die Mängel akzeptieren, als er am 3. August 1914 zum Oberbefehlshaber der Armee ernannt wurde. KKdt Süssli zeigte die vielen Analogien zur heutigen geopolitischen und militärischen Situation auf, auch wenn diese heute viel komplexer sei als damals. Mit der Rückkehr der Machtpolitik werde das Spektrum der Bedrohungen für unser Land noch vielfältiger und die Armee sehe sich erneut gezwungen, sich an den gefährlichsten Szenarien zu orientieren...und gleichzeitig zu hoffen, dass sie nicht darauf zurückgreifen müsse. Neben dem Bedarf an umfassender und moderner Ausrüstung plädierte der CdA – wie seinerzeit Wille – für eine ausreichende Personalalimentierung und eine intensive Ausbildung...und hoffe, gehört zu werden.

Es folgte eine sehr interessante Podiumsdiskussion, die von vier unserer Mitglieder bestritten wurde, die es verstanden, verschiedene Aspekte des Denkens und Handelns des Generals ausgewogen zu beleuchten:

Prof. Dr. Rudolf Jaun zeigte anhand seines kürzlich erschienenen Buches „General Wille, ein bekämpfter und verehrter Schweizer Offizier“, wie sich dieser Bruch nicht nur auf seine Zeit als Oberbefehlshaber bezog, sondern auch auf seine gesamte Karriere als Ausbilder und Redakteur, auf seine Kämpfe und Plädoyers für eine qualitativ hochwertige Armee. Wille sah sich – wahrscheinlich zu Recht – als Militärexperte und wollte seine Gedanken zu 100 Prozent und ohne Konzessionen umsetzen; insbesondere wollte er die Erziehung des Soldaten als Grundelement implementieren. Seine Orientierung am preussischen Modell brachte ihm jedoch viele Gegner ein, vor allem in den Reihen der Befürworter einer rustikaleren Armee aus Bürgersoldaten. Wille setzte alles daran, General zu werden, um sich durchsetzen zu können. Doch der Aktivdienst befriedigte ihn nicht, da die Lage in der Nähe unserer Grenzen schnell eingefroren war und die zahlreichen Truppenablösungen keine qualitativen Fortschritte in der Einsatzbereitschaft der Armee ermöglichten.

Brigadier Dr. Daniel Lätsch erinnerte daran, dass die Schweizer Armee Ende des 19. Jahrhunderts – trotz der seit 1848 erzielten Fortschritte – immer noch stark kantonalisiert und die Ausbildung der Truppen dadurch recht uneinheitlich war; erst die Reform von 1907 brachte einen wichtigen Schritt in Richtung Kohärenz. Wille hatte Recht, als er sich dafür aussprach, dass eine spezifische Erziehung – und nicht nur das Erlernen von Waffen – den Einzelnen und die Verbände befähigen sollte, Krisensituationen erfolgreich zu bewältigen. Grundsätzlich hatte er Recht, aber es waren die gewählten Methoden („nach preussischer Art“), die nicht nur in der lateinischen Schweiz Widerstand hervorriefen. Aber man muss zugeben, dass viele seiner Grundsätze wohl oder übel bis in die Zeit nach 1968 in Kraft blieben!

Frau Dr. Lea Moliterni beleuchtete einen wenig bekannten Aspekt der Person: die Anwendung seines Begnadigungsrechts gegenüber den Urteilen der Militärjustiz. Wille – der Doktor der Rechtswissenschaften war – wurde General und Gnadenherr mit einem Militärstrafgesetzbuch aus einer anderen Zeit. Das veraltete Militärstrafrecht war nicht nur veraltet und den Realitäten des beginnenden 20. Jahrhunderts nicht entsprechend; sondern es war bei den Strafmassen auch übermässig repressiv; dieses war aufgrund der Notverordnungen während des aktiven Dienstes umso strenger als während der kurzen Zeit des Ausbildungsdienstes. Wille wollte als Gnadenherr ein Gegengewicht dazu schaffen; er war oft der Meinung, dass Fehler eher von den Vorgesetzten als von den Soldaten zu verantworten seien; er wollte eher vorbeugen als bestrafen, was Teil seiner Vorstellung von Erziehung war. Und wenn sich verurteilte Soldaten oder ihre Familien an ihn wandten, setzte Wille ein menschliches Gespür ein, das verkannt ist; so behandelte er während der gesamten vier Jahre des aktiven Dienstes durchschnittlich drei Fälle pro Tag!

Dr. Michael Olsansky fokussierte auf General Willes Vorstellungen zur Kriegs- und Kampfführung. Auf strategischer Ebene war sich Wille bewusst, dass die Schweizer Armee nicht in der Lage war, langfristig im Alleingang einen militärischen Grossangriff von aussen abzuwehren. Er zog es daher in Betracht, gegebenenfalls „die Hilfe des Feindes unseres Feindes“ zu suchen, was vor dem Krieg zu den berühmten Punktationen mit dem deutschen und während des Krieges zu den Absprachen (Plan H) mit dem französischen Generalstab führte. Auf operativer Ebene war Wille an sich Verfechter einer beweglichen Kriegsführung, was für ihn als ehemaligem Waffenchef der Kavallerie vielleicht auch logisch war…Doch die Organisation, Ausrüstung und Ausbildung der Armee waren dafür bei Kriegsausbruch kaum noch geeignet. Und der Kriegsverlauf, insbesondere das Einfrieren der Westfront ab dem alten Dreiländereck bei Bonfol, gebot der Schweizer Armeeführung den Bezug eines statischen Abwehrdispositivs im Nordwesten der Schweiz. Und wie wir heute im Nachhinein wissen – was aber General Wille und Generalstabschef Sprecher nicht wussten, und wovon sie nicht ausgehen konnten – geschah…nichts! Interessanterweise kam es anlässlich des Generalstreiks von 1918 zum einzigen konkreten „Grosseinsatz“ von Teilen der Armee im Ersten Weltkrieg. Wille wollte aber – entgegen den Plänen des Generalstabs – keinen eigentlichen konterrevolutionären Gegenkrieg führen, sondern der Streikbewegung durch den präventiven, entschlossenen und markanten Aufmarsch der Armee in den Schweizer Städten den Raum und damit die Aktionsmöglichkeiten nehmen.

Unter dem Strich war Ulrich Wille – in all seinen Facetten und Aktivitäten – eine brillante Persönlichkeit mit entschlossenen Visionen, der aber zu wenig Bewusstsein für die Realitäten unserer Milizarmee hatte; er war überzeugt, dass es seine Aufgabe, um nicht zu sagen seine Berufung, sei, seine Vision umzusetzen. Und in dieser Hinsicht war er fast ebenso umstritten wie verehrt. Gleichzeitig war er aber auch viel menschlicher und leutseliger, als man sich vorstellte; er respektierte den Menschen und wollte ihm möglichst viele Chancen geben, erfolgreich zu kämpfen und lebend zurückzukehren.

Man wird also zu dem Schluss kommen, dass General Ulrich Wille eine unzureichend bekannte Persönlichkeit war – und immer noch ist –, die es verdient, in ihrem objektiven und vollständigen Kontext wiederhergestellt zu werden. Dies ist sicherlich der Eindruck, den die Teilnehmenden dieses stilvoll und inhaltsreich gestalteten Gedenkanlasses gewonnen haben.

Dominique ANDREY

Cdt C (lib)

Président ASHSM/SVMM