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ABSTRACT - Die Schweiz, ihr Nachrichtendienst und die SS

Zusammenfassung einer Masterarbeit, die 2022 an der Universität Paris Sorbonne eingereicht wurde.

Am 15. Juli 1940 wird eine deutsche Delegation mit Heinrich Himmler an der Spitze am französisch-schweizerischen Grenzposten "Les Verrières" fotografiert. Lächelnd und an die Zollschranke gelehnt, beobachtet der allmächtige SS-Chef die Schweiz und unterhält sich mit den anwesenden Schweizer Soldaten. Diese Bilderserie, die in der Geschichtsschreibung als Illustration der Bedrohung der Schweiz zu dieser Zeit gilt, ist auch ein wertvolles Zeugnis von Himmlers Reise in die Franche-Comté im Sommer 1940. Unter Hitlers Befehl suchte der damalige Leiter des RKFDV (Reichskommissariat für die Festigung des Deutschen Volkstums) nach einer Heimat für deutschsprachige, vor allem südtirolerische Bevölkerungsgruppen. Die Regionen Burgund und Franche-Comté erschienen dabei als ideale Siedlungsgebiete, zumal sie in den Augen der Nazis nach wie vor ehemalige germanische Länder waren, die von Frankreich im Mittelalter gestohlen worden waren. Tatsächlich war der "burgundische Diskurs" seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in der deutschen nationalen, später "völkischen" Literatur sehr präsent. Himmler und die SS machten ihn sich zu eigen, um ihre Pläne zur Neugestaltung der europäischen Grenzen zu rechtfertigen. So wollte Himmler aus Burgund einen SS-"Modellstaat" machen, in dem sich die arische Rasse und die nationalsozialistischen Konzepte uneingeschränkt entfalten konnten. Ganz allgemein strebte die SS eine Wiedervereinigung der europäischen "germanischen Familien" in einer "großgermanischen" Vision des neuen Deutschen Reichs an.

Zwar konnte die Schweiz während des Krieges die Integrität ihrer Grenzen bewahren, doch war sie stets Teil dieser von den Nazis angestrebten territorialen Pläne. Himmlers Besuch in Les Verrières ist ein prominentes Beispiel dafür: Die Westschweiz wird in der SS-"Weltanschauung" als Teil des "angestammten Burgunds" betrachtet und soll daher zusammen mit der Deutschschweiz Teil eines großen Deutschen Reichs werden. Auch wenn diese räuberische Ideologie nicht von allen Teilen der nationalsozialistischen Staats- und Verwaltungsmaschinerie getragen wird, so war sie doch in den Reihen des Schwarzen Ordens besonders prägnant. Die SS wurde deshalb für die Schweizer Behörden zu einem wichtigen Fokus für die Beurteilung der Haltung Deutschlands gegenüber dem Land.

Der Schweizer Nachrichtendienst (SR), der seit 1936 von Oberst Roger Masson geleitet wurde, musste daher von Beginn des Krieges an diese neuartige Kraft berücksichtigen, die über die militärischen und politischen Mittel verfügte, ethnisch-rassistische Projekte zu verwirklichen. Der Sieg und die Übermacht Deutschlands im Juni 1940 leiteten für die Schweiz eine unsichere Phase ein, die – wie Masson 1945 in einem Bericht betonte – durch den Wechsel von einer strategischen zu einer ideologischen Bedrohung gekennzeichnet war. Innerhalb der SR-Berichte wurden Himmler und die SS von da an zu Verfechtern einer schnellen Lösung des "Schweizer Falls", im Gegensatz zu den Kreisen der deutschen Wehrmacht und der Industrie, die sich laut SR aus Verteidigern der helvetischen Integrität zusammensetzten. In den Schweizer Archiven finden sich die von der SS getragenen größenwahnsinnigen Projekte der Nazis somit bruchstückhaft wieder, ohne dass die Bedrohung jemals klar identifiziert oder von den damaligen Diensten als realistisch eingeschätzt worden wäre. Die immer größere Bedeutung der SS im Reich veranlasste den SR jedoch, mit Walter Schellenberg, dem Chef des Nachrichtendienstes der SS (SD) und engen Vertrauten Himmlers, in Kontakt zu treten. Diese Kontaktlinie wurde zwischen 1942 und 1943 mehrfach genutzt, in Zeiten großer Spannungen, in denen sich mögliche, von Himmler und seinen Männern angestiftete Angriffspläne abzeichneten. Während des gesamten Krieges war sich der SR also bewusst, dass die SS und ihre Führer, die Speerspitze der Nazi-Ideologie, die größte Bedrohung für die Integrität der Schweiz darstellten.

Isaac Genoud

Étudiant en Histoire contemporaine

Université de la Sorbonne - Paris

Membre ASHSM