Prof. Dr. Rudolf Jaun konzentrierte sich darauf, Willes Denken und Wirken zwischen 1877 und 1924 zu beschreiben. Wille, der nach einem zügigen Studium und einem Doktorat in Rechtswissenschaften ab 1871 Instruktionsoffizier der Artillerie wurde, stellte fest, dass die Milizoffiziere keinen Einfluss auf die Ausbildung und Disziplin der Truppe hatten. Eine hartnäckige Willenskraft, die Ausbildung und Erziehung der Soldaten zu verbessern, um mehr Effizienz und Widerstandsfähigkeit zu erreichen, wurde von da an zu seiner Überzeugung, um nicht zu sagen zu seiner Berufung. Er sagte es, er schrieb es, er veröffentlichte es; dies führte sowohl zu Unterstützung als auch zu Widerstand, da seine Vision als wenig schweizerisch und zu zentralistisch erschien. Er wurde Oberinstruktor und später Waffenchef der Kavallerie und versuchte, seine Ideen umzusetzen, und zwar mit einer Vehemenz, die zu seiner Entlassung im Jahr 1896 beitrugen.
Er hielt jedoch nicht inne, sondern verfasste zahlreiche Artikel und hielt Vorträge und vergrösserte so den Kreis seiner Anhänger und Gegner. Als Milizoffizier wurde er Divisions- und Korpskommandant, war Redakteur der ASMZ und Professor für Militärwissenschaften an der ETH Zürich - alles Positionen, die es ihm ermöglichten, seine Ideen zu verbreiten und umzusetzen. Doch das von ihm propagierte preussische Modell - die militärische Linie, nicht die Politische oder Gesellschaftliche - blieb an ihm haften und verstärkte die Vorurteile gegen ihn; er war sich dessen bewusst, beharrte aber auf seiner Vision der militärischen Erziehung.
Und mit der Kraft seiner Berufung setzte er alles daran, im August 1914 an die Spitze der Armee gewählt und zum General befördert zu werden. Dieser letzte Posten seiner Karriere ermöglichte es ihm jedoch nicht, seine Ziele zu erreichen: Die zahlreichen Ablösungen der Truppe und die Entwicklung der sozialen Proteste im zivilen Umfeld hinderten ihn daran, seinen Willen, Soldaten und Führungskräfte zu erziehen, vollständig zu verwirklichen.
Am Ende des Krieges gab er sein Kommando ab und starb am 31. Januar 1925. Er war weiterhin von seiner Vision überzeugt, konnte sie aber nicht ausreichend durchsetzen, weshalb er ein ebenso bewunderter wie umstrittener Offizier war – und blieb.
Peter Muff konzentrierte sich auf Willes Haltung gegenüber der Beschaffung von Maschinengewehren für die Kavallerie. Dieser eher marginale Teil der Arbeit des damaligen Oberinstruktors zeigt jedoch deutlich, zu welcher Hartnäckigkeit und Kompromisslosigkeit er fähig war.
1888 forderte Wille ultimativ die sofortige Beschaffung und Einführung von damals allerdings bereits veralteten Maschinengewehren ‘nach englischem System’ für die Kavallerie, obwohl für ihn die innere Kraft der Truppe durch Erziehung und Ausbildung und nicht die Ausrüstung im Vordergrund stand.
Bereits 1887 war das revolutionäre automatische Maxim Maschinengewehr vom Erfinder selbst in Thun vorgestellt worden. Erfolgreiche Truppenversuche mit einer verbesserten Ausführung durch die Kavallerie 1891 konnten Wille jedoch nicht überzeugen, er hielt das Maxim für noch nicht beschaffungsreif und sah damit auch den ‘Geist der Kavallerie’ gefährdet. Er stellte dann unrealistische Bedingungen für den Einsatz und verfasste und verbreitete schliesslich einen erbitterten Gegenbericht zu dem der offiziellen Organe.
Dies hatte zwei Auswirkungen: Willes Persönlichkeit wurde dadurch noch spaltender, und die Kavallerie musste mehrere Jahre auf ihre Ausrüstung mit Maschinengewehren warten; im Gegensatz zu den Festungstruppen, die Maxim Gewehre bereits ab 1891 problemlos einführten, stimmte das Parlament den Maschinengewehren für die Kavallerie erst 1898 zu. Man kann Wille also nicht mit dieser Phase der Modernisierung der Bewaffnung der Armee Verbindung bringen...
Gerhard Wyss präsentierte und kommentierte ein von Wille 1894 verfasstes Reglement: die „Vorschriften für den Dienst und die Ausbildung der Schweizerischen Reiterei“ [sic!]. Es ist ein heute wenig bekannter Text, aber ein Meilenstein in der Reglementierung der Schweizer Armee, der Willes wesentliche, damals moderne Visionen zur Ausbildung und Erziehung der Truppe aufgreift und die menschlichen Aspekte aufzeigt, die in die von den Milizsoldaten erwartete Disziplin eingebracht werden sollten.
Es zielte darauf ab, die langen Stunden sinnloser Drillerei, wie in den ehemaligen Solddregimentern üblich, durch kurze, intensive Phasen des Drills als erzieherisches Mittel zur Disziplin zu ersetzen; es erläuterte die pädagogischen Elemente, nicht nur was, sondern auch wie ausgebildet werden sollte; es betonte die zentrale Rolle des Kompaniekommandanten bei der Führung der Ausbildung und im Strafwesen. Generell definierte es die Zuständigkeit der Führungskräfte aller Ebenen für die Ausbildung der Soldaten, für den Dienstbetrieb und für die Erziehung der Truppe.
Es war ein wegweisendes und ausgezeichnetes Dokument, das aber auch umstritten war, weil es zu viele in alte Gewohnheiten verankerte Aspekte änderte, einen strengen Ernst im Dienstbetrieb einführte und die - doch eindeutig veraltete - Doktrin des Kavallerieeinsatzes revolutionierte. Und es gab auch Kritik, die sich gegen Willes wenig versöhnliche Persönlichkeit richtete.
Dennoch diente die Vorschrift als Vorlage für viele der späteren Reglemente und Richtlinien bis in die heutige Zeit. Der Ton und die Form haben sich natürlich geändert, aber Teile des Inhalts und das Grundsätzliche sind geblieben!
Dr. Michael Olsansky ging auf den Aspekt der „Wille-Schüler“ ein, jener Offiziere, die über mehrere Generationen hinweg versuchten, die Überzeugungen von Ulrich Wille weiterzuführen und seine Prinzipien umzusetzen.
Es ging ihnen darum, eine militärische Erziehung zu praktizieren, die sowohl in der Ausbildung und im Training als auch in der Art und Weise der Menschenführung unsere Milizarmee in die Lage versetzen sollte, ihren Auftrag gegebenenfalls effizienter zu erfüllen.
Sicherlich war die erste Generation dieser Offiziere, die unter Wille gedient hatte, von preussischen Methoden geprägt, was ihr vor allem in Anbetracht des Ersten Weltkriegs vorgeworfen wurde. Die nächste Generation war von der Remilitarisierung Nazideutschlands beeindruckt und einige ihrer Offiziere konnten nicht umhin, in autoritären Regimen einen geeigneten Rahmen für die von ihnen propagierte militärische Erziehung zu sehen; sie wurden als Rechtsextremisten bezeichnet, was bei weitem nicht alle waren ... Aber die Ambivalenz zwischen ihren autoritären Sympathien und ihrem Wunsch nach besserer Erziehung spaltete die Reihen bis in die höchsten Ränge der Armee in Anbetracht des Zweiten Weltkriegs. Dennoch wurden die Grundideen nach dem Krieg von verschiedenen Kreisen erneut formuliert, um die Armee für die neuen Bedrohungen zu schulen und zu trainieren. Dieser Einfluss war, je nach Generation in unterschiedlichem Masse, bis in die 1960er und 1970er Jahre spürbar; allerdings ging es dabei mehr um die erzieherischen Aspekte als um die operativen Konzeptionen. Eines ist sicher: Die „Wille-Schüler“ glänzten stets in ihren Denk- und Streitaktivitäten gegenüber den traditionalistischen Tendenzen in der Armee.
Man darf sie jedoch nicht mit den Vorurteilen des Autoritarismus und Militarismus über einen Kamm scheren; sie hatten persönliche Entwicklungen und oftmals unterschiedliche Schicksale, aber alle wollten das Ausbildungsniveau verbessern. Es sind die gepredigten Methoden, die im Laufe der Generationen an Aktualität verloren haben.
Ich möchte an dieser Stelle die Frage stellen: Ist die Art und Weise, wie unsere Armee heute Menschenführung und Ausbildung praktiziert, nicht letztlich - mutatis mutandis - näher an der von Wille gesehenen Art und Weise, als man sich vorstellt?
Diese Frühjahrstagung der GMS hat zweifellos weitere Aspekte des Denkens und Wirkens von Ulrich Wille ans Licht gebracht und bestärkt das Bedürfnis, „diesen bekämpften und verehrten Schweizer Offizier“ weiterhin wiederzuentdecken.